«A LAST SONG» an der 59. Biennale Venedig im Palazzo Bembo
Vom 23. April bis am 27. November 2022 stellt Hans-Ruedi Wüthrich sein Werk «A LAST SONG» im Rahmen der Gruppenausstellung «PERSONAL STRUCTURES» im Palazzo Bembo anlässlich der 59. Venice art Biennale aus.
Ein Besuch der Gruppenausstellung «PERSONAL STRUCTURES» lohnt sich sehr – nebst den offiziellen Ausstellungen und Events der Biennale. Im Palazzo Mora, im Palazzo Bembo sowie im Giardini Marinaressa werden die Werke von internationalen Künstlerinnen und Künstlern ausgestellt.
von Eva Buhrfeind
Da liegt sie nun, die Krähe, dieser selbstbewusste, «sprachbegabte», ebenso intelligente wie sozial kompetente Vogel mit tiefer Trauerfähigkeit, hilflos auf dem Rücken, sterbend, und zeigt das Leid als überlebensgrosse Metapher eines rücksichtslosen Umgangs des Menschen mit der Natur. Hans-Ruedi Wüthrichs «Krähe», in Bronze gegossen, zur Zeitlosigkeit patiniert, agiert sinnbildhaft wie eindrücklich als allegorischer Moment eines menschenverursachten Vogelsterbens, der schleichenden Zerstörung unserer Umwelt: das Federkleid erstarrt, der Fuss im Todeskampf gereckt, der Schnabel zum letzten «Krähengesang» geöffnet. Die Landschaft dahinter – multimedial wie dramatisch gemalte Endzeitstimmung auf Leinwand – bildet die apokalyptisch wirkende Kulisse eines allgegenwärtigen Dramas. Mit seinen figurativen Adaptionen erlebter Tierwelten wie mit seinen landschaftlichen Inszenierungen lässt Hans Ruedi Wüthrich die Betrachtenden mit fulminanten Bildgestaltungen Teil dieser Natur werden. Endzeitlos zerstört das Landschaftliche, unter drohend sich aufbäumenden Himmelsstürmen vertieft sich die Gefährdung der Natur im gestisch erregten malerischen Prozess zur unmittelbaren Direktheit.
Hans-Ruedi Wüthrichs Arbeiten sind realitätsnahe Narrative, ausdrucksstark reflektiert und verdichtet erzählt. Seine malerische Haltung beschreibt er denn auch als Suche nach dem Ausdruck, der betroffen macht. Und für ihn heisst «Betroffen machen», aufmerksam machen, zum Nachdenken anregen. Daher zählt vor allem der Ausdruck des Empfindens persönlicher Momente, unerschöpflich in der künstlerischen Kreativität, ungebändigt in der malerischen Sinnsuche und gestalterischen Nachhaltigkeit, die sich im plastischen Werk ebenso niederschlägt wie in der Malerei, in den Zeichnungen, fotografischen Inszenierungen, unmittelbar und zeitlos. So ist es nicht ausgeblieben, dass sich der Künstler aus einem unmittelbaren Erleben heraus künstlerisch mit Krähen auseinandersetzt. Fasziniert von diesen Geschöpfen, die wie die Raben zu den intelligentesten Vögeln zählen, war es die bestürzende Erfahrung über unseren abwertenden Umgang, das bedenkenlose Töten dieser Vögel, die wie Menschen trauern können, intensiv und mit lautem «Krähengesang». Aus dieser Erkenntnis heraus will Hans-Ruedi Wüthrich mit der Gestalt seiner Krähe auf die alarmierende Situation unserer Umwelt aufmerksam machen, auf das dramatische Vogelsterben, auf unsere Rücksichtslosigkeit der Schöpfung gegenüber. Eine echte tote Krähe diente ihm als Vorbild; und er zeigt uns, dass in dieser leidvollen Symbolgestalt wie in den düsteren umweltlichen Grenzzonen ein tiefes Erkennen liegt. Hans-Ruedi Wüthrich malt und gestaltet, was er erlebt, sieht und empfindet, lässt sich von den erlebten Eindrücken leiten, nuanciert diese mit Vehemenz und Leidenschaft zu existentiellen Spannungsmomenten unseres Seins und deren Brüchigkeit: Eindrücklich die Plastizität der Krähe in ihrer Tragik, bedrückend nahbar die bildhafte landschaftliche Inszenierung. Hans-Ruedi Wüthrichs künstlerischer Anspruch zeichnet eine unerschöpfliche kreative Neugier aus, vereint in der Auseinandersetzung mit dem thematischen Kontext und der Herausforderung formaler Mittel. Seine bronzene Fabel von der Krähe liest sich als Mahnmal des Erbarmens und Mitgefühls. Der Betrachter muss sich auf das Bildgeschehen einlassen: Der Künstler hat sein Ziel erreicht.